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Moderne Ausbildung? Nicht wirklich!
Am Arbeitsplatz, in der Schule oder in der Freizeit: Die Digitalisierung ist überall auf dem Vormarsch. Spätestens seit Coronapandemie und Lockdowns die Auszubildenden ins Homeoffice oder Homeschooling gezwungen haben, sind digitale Methoden auch in der Ausbildung zum Thema geworden. Aber wie ist es um die digitale und technische Ausstattung in der Ausbildung bestellt? Eher schlecht, sagen die, die es wissen müssen und täglich damit konfrontiert sind, die Auszubildenden: Es gibt erheblichen Nachholbedarf – im Betrieb und in der Berufsschule. Das ist ein Ergebnis des neuen Ausbildungsreports, den die DGB Jugend pünktlich zum Start in das neue Ausbildungsjahr präsentiert hat.
Einmal im Jahr befragt die Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Tausende Expert*innen in Sachen Ausbildung – die Auszubildenden selbst. Sie haben auch für diese 17. Untersuchung wieder Fragen beantwortet, deren Auswertung einen guten Überblick über den Zustand der dualen Berufsausbildung in Deutschland gibt.
Moderne Ausbildung
Im Schwerpunkt ihrer neuen Studie hat die DGB Jugend die „Moderne Ausbildung“ in den Blick genommen. Sie wollte von den Auszubildenden wissen, wie es um die technische Ausstattung bestellt ist, ob die Ausbildung sie auf die Anforderungen der Digitalisierung vorbereitet und wie gut das Lehrpersonal für die neuen Herausforderungen qualifiziert ist?
Dabei wird deutlich: Es gibt noch reichlich Luft nach oben. Nahezu jede*r Vierte gibt an, dass Berufsschulen nur „ausreichend“ oder sogar „mangelhaft“ digital ausgestattet sind. Und ebenso viele Auszubildende sagen, dass ihr Ausbildungsbetrieb nur „selten“ oder „nie“ die benötigten technischen Geräte für eine digitale Ausbildung zur Verfügung stellt.
Auch den Lehrkräften an den Berufsschulen attestieren die Auszubildenden Nachholbedarf: Mehr als jede*r Vierte (25,7 Prozent) sagt, das Lehrpersonal sei allenfalls „ausreichend“ oder sogar nur„mangelhaft“ für den Umgang mit digitalen Medien qualifiziert.
Für die Anforderungen der Digitalisierung fühlt sich knapp ein Viertel (24,1 Prozent) der Auszubildenden auch im Betrieb nicht vorbereitet und vergibt dafür nur ein „ausreichend“ oder sogar „mangelhaft“.
Noch schlechter schneidet die Abstimmung zwischen Schule und Ausbildungsbetrieb in Sachen Digitalisierung ab. Die funktioniert nicht, sagten 36,7 Prozent und bewerten diese nur mit „ausreichend“ oder „mangelhaft“.
Die im DGB organisierten Jugendverbände mahnen eine deutliche Nachbesserung der digitalen Ausbildung an. Sie fordern:
- Betriebe müssen ihren Auszubildenden alle technischen Geräte – zum Beispiel Laptops oder Tablets – zur Verfügung stellen, die sie für eine moderne Ausbildung benötigen. Dafür sollte die Lernmittelfreiheit nach § 14 Abs. 1 Nr. 3 BBiG um digitale Endgeräte und Software erweitert werden.
- Das Lehr-, Ausbildungs- und Prüfungspersonal muss ausreichend bezahlte Freistellungen für regelmäßige Fort- und Weiterbildungen erhalten, um eine moderne Ausbildung von Anfang bis Ende zu gewährleisten.
Denn nur wenn die duale Berufsausbildung mit modernsten Ausbildungsmitteln stattfindet, wird es auch in Zukunft genügend Fachkräfte in Deutschland geben, die die Herausforderungen der Digitalisierung erfolgreich meistern.
Auch die ver.di Jugend hat auf der Bundesjugendkonferenz mit ihrem Leitantrag zur Digitalisierung in der Ausbildung und Prüfung angemahnt, dass es im Bereich der Qualifizierung von Ausbildungspersonal und der Bereitstellung der notwendigen Soft- und HArdware Nachbesserungsbedarf gibt.
Fachkräfte? Mangelware!
Fakt ist nämlich schon jetzt: Das Fachkräftemangel-Gespenst geht um. Nahezu alle Branchen klagen darüber, wie schwer es ist, gut ausgebildetes Personal zu finden. Fakt ist aber auch: Trotz dieses immensen Fachkräftemangels ist es um die Ausbildungssituation in Deutschland weiterhin eher mau bestellt. Nur jeder fünfte Betrieb bildet überhaupt noch aus – ein historischer Tiefstand, wie die aktuellen Zahlen des Berufsbildungsberichts belegen. Den hat der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) im Mai veröffentlicht. Auf Rekordniveau ist demnach noch ein anderer Wert: Mehr als 2,6 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren sind ohne Berufsabschluss.
Einen ersten Schritt in die richtige Richtung ist der Bundestag vor den diesjährigen Parlamentsferien mit dem Gesetz zur Aus- und Weiterbildungsförderung zwar bereits gegangen, der reicht aber nicht aus. Mehr betriebliche Ausbildungsplätze sind das Gebot der Stunde, um jungen Leuten eine Perspektive zu geben und den Trend hin zu immer mehr Fachkräfteengpässen umzukehren.
Das neue Gesetz sieht ab August 2024 eine Ausbildungsgarantie vor und räumt Bewerbenden in Regionen, in denen es weniger Angebote als Bewerbende gibt, einen Rechtsanspruch auf einen Ausbildungsplatz ein.
Doch durch dieses neue Gesetz entsteht kein einziger betrieblicher Ausbildungsplatz. Der Anspruch wird nur auf außerbetriebliche Angebote angewendet. Die ver.di Jugend setzt sich deshalb gemeinsam mit der gesamten im DGB organisierten Jugend auch weiter politisch für einen umlagefinanzierten Zukunftsfonds ein, der die Ausbildungskosten endlich fairer unter allen Betrieben aufteilt. Schließlich sind alle Betriebe an gut qualifizierten Fachkräften interessiert, deshalb müssen sich auch alle an der Ausbildung oder an den Kosten beteiligen.
Ausbildungsqualität im Visier
Auch in Sachen Ausbildungsqualität gibt es noch einiges zu tun, wie der neue DGB-Ausbildungsreport belegt: Der überwiegende Teil der Auszubildenden (70,5 Prozent) ist zwar mit der Ausbildung „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ – gegenüber dem Vorjahr ist das jedoch eine rückläufige Tendenz von 2,8 Prozent und fast 30 Prozent der Auszubildenden sind unzufrieden.
Allerdings variieren die Ergebnisse in puncto Zufriedenheit stark zwischen den unterschiedlichen Ausbildungsberufen. Am zufriedensten sind die angehenden Industriemechaniker*innen – 82,6 Prozent sind mit ihrer Ausbildung „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“, im Hotelgewerbe dagegen geben nur 53,7 Prozent der befragten Auszubildenden diese Bestnoten.
Weiterempfehlung?
Insbesondere im Hinblick auf den Fachkräftemangel ist es wichtig, dass sich genügend Schulabgänger*innen für eine Berufsausbildung entscheiden. Deshalb sollten die Unternehmen daran interessiert sein, dass ihre Auszubildenden als Multiplikator*innen bei Freund*innen, Verwandten und Bekannten Werbung für ihren Beruf und Betrieb machen. Aber das Gegenteil ist oft der Fall: Jede*r sechste Auszubildende (16,9 Prozent) würde die Ausbildung im eigenen Ausbildungsbetrieb nicht weiterempfehlen. Und mit zunehmender Ausbildungsdauer sinkt die Begeisterung signifikant: Während im ersten Ausbildungsjahr noch zwei Drittel (66,9 Prozent) eine Empfehlung abgeben, sind es im letzten Ausbildungsjahr nur noch weniger als die Hälfte (47,6 Prozent). Damit zeichnet sich gegenüber dem Vorjahr eine zunehmend negative Tendenz ab. Gründe für die nachlassende Begeisterung gibt es viele.
Überstunden, Jugendarbeitsschutz und Belastung
Zum Beispiel Überstunden! Knapp ein Drittel der Befragten (32,1 Prozent) wird regelmäßig zu Mehrarbeit herangezogen, durchschnittlich zu 3,6 Stunden pro Woche zusätzlich. Und fast jede*r zehnte Auszubildende (9,5 Prozent) bekommt dafür nicht mal mehr einen Ausgleich in Form von Geld oder Freizeit. Damit verstoßen deren Arbeitgeber eindeutig gegen das Berufsbildungsgesetz (BBiG). Das nämlich schreibt in § 11 Abs. 1 Nr. 8 ausdrücklich fest, dass „Vergütung oder Ausgleich von Überstunden“ verbindlich zu regeln ist.
Und auch bei unter 18-jährigen Auszubildenden verstoßen Arbeitgeber immer wieder gegen geltendes Gesetz. Das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) schreibt vor: Jugendliche dürfen nicht mehr als 8 Stunden täglich und nicht mehr als 40 Stunden pro Woche beschäftigt werden. 7 Prozent der befragten Auszubildenden geben jedoch an, dass sie die gesetzlich geregelte maximale Wochenarbeitszeit überschreiten müssen (vgl. § 8 JArbSchG).
Eine Berufsausbildung darf nicht zu Überlastungssymptomen führen, die krank machen können. Allerdings geben mehr als ein Viertel der Auszubildenden (26,2 Prozent) an, dass sie sich in ihrer Freizeit nach der Ausbildung nicht richtig erholen. Ein besorgniserregendes Ergebnis, sagt Levin Schneider-Siebiera, stellvertretender Vorsitzender der ver.di Jugend: „Wir sehen erneut, dass der Arbeits- und Ausbildungsplatz zu oft Brandherd für (psychische) Erkrankungen ist. An dieser Stelle muss dringend gegengesteuert werden. Psychische Gesundheit ist ein wichtiges Thema des Gesundheitsschutzes im Betrieb und in der Dienststelle – und das auch bereits während der Ausbildung.“
Ausbildungsfremde Tätigkeiten
Kaffee kochen, den Mittagsimbiss für die Belegschaft holen oder die schweren Werkzeuge allein in den vierten Stock buckeln – Tätigkeiten, die immer wieder auf Auszubildende abgewälzt werden und nicht unbedingt zu deren Zufriedenheit oder zu Lernfortschritten in der Ausbildung beitragen. Für 12,7 Prozent der Auszubildenden sind solche ausbildungsfremden Tätigkeiten dennoch Alltag – ein Anstieg von fast 2 Prozent. Sie geben an, dass sie „immer“ oder „häufig“ ausbildungsfremde Tätigkeiten erledigen müssen – obwohl solche Tätigkeiten nach § 14 Berufsbildungsgesetz sogar verboten sind.
Betrieblicher Ausbildungsplan
Was zu den ausbildungsfremden Tätigkeiten gehört, können Auszubildende bei einem Blick in ihren betrieblichen Ausbildungsplan entdecken. Wenn sie denn einen haben. Mehr als ein Drittel (33,6 Prozent) der Auszubildenden steht nämlich ohne da. Somit fehlt ihnen oft die Orientierung, wie ihre Ausbildung ablaufen soll und was Lerninhalte sind. Dabei ist dieser gesetzlich vorgeschrieben und muss der Vertragsniederschrift beigefügt sein (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 BBiG).
Fachliche Anleitung
Wichtig für eine erfolgreiche Ausbildung ist auch der Kontakt zu den Ausbilder*innen und die fachliche Anleitung durch sie. Selbstverständlich ist das jedoch nicht. Mehr als jede*r zehnte Auszubildende (10,9 Prozent) gibt an, dass ihre Ausbilder*innen „nie“ oder nur „selten“ am Ausbildungsplatz zur Verfügung stehen. Und 13,3 Prozent der Auszubildenden sagen, dass ihnen die Arbeitsvorgänge „nie“ oder nur „selten“ zufriedenstellend erklärt werden.
Berufsschulunterricht
Deutlich schlechtere Noten als ihrer betrieblichen Ausbildung geben die Auszubildenden ihren Berufsschulen. Nur etwas mehr als die Hälfte der Auszubildenden (53,7 Prozent) bewertet die fachliche Qualität des Berufsschulunterrichts mit „gut“ oder „sehr gut“ – im Vergleich zum Vorjahr ein deutlicher Rückgang um 5,3 Prozent.
Ausbildungsvergütung
Die Wertschätzung, die die Auszubildenden erfahren, ist ein weiterer wichtiger Faktor, der Einfluss auf ihre Zufriedenheit hat. Dabei spielt auch die Ausbildungsvergütung eine zentrale Rolle.
Gegenüber dem Vorjahr ist die durchschnittliche Ausbildungsvergütung über alle Ausbildungsjahre, Berufe und das Geschlecht hinweg zwar von 881 auf 929 Euro gestiegen. Dennoch liegt sie immer noch fast 100 Euro unter dem Durchschnitt der tariflichen Ausbildungsvergütungen von 1028 Euro.
In Zeiten, in denen die die Auszubildenden die hohe Inflation schon an der Supermarktkasse für Grundnahrungsmittel spüren, brauchen sie eine spürbare Entlastung ihres Portemonnaies. Die im DGB organisierten Jugendverbände fordern deshalb eine Erhöhung der Mindestausbildungsvergütung um 130 Euro.
Perspektiven
Junge Menschen brauchen möglichst frühzeitig eine Perspektive, wie es nach erfolgreicher Abschlussprüfung für sie weitergeht und ob das Unternehmen sie übernimmt. Doch darauf warten sie häufig lang und zum Teil sogar vergeblich. 42,3 Prozent der jungen Menschen wissen selbst im letzten Ausbildungsjahr immer noch nicht, ob sie im Ausbildungsunternehmen eine Zukunft haben. Zwar hat sich der Wert gegenüber dem Vorjahr um 3 Prozent gebessert, er liegt aber auch immer noch fast 3 Prozent unter dem Niveau vor der Coronapandemie.
Und: Von den Auszubildenden im dritten Ausbildungsjahr, die bereits wussten, dass sie nicht übernommen werden, hatten 39,5 Prozent keine konkrete berufliche Perspektive.
Gemeinsam mit der ver.di Jugend für mehr und bessere Ausbildung!
Der neue DGB-Ausbildungsreport und auch der aktuelle Berufsbildungsbericht demonstrieren einmal mehr: In Sachen Ausbildung gibt es viele Baustellen und erheblichen Verbesserungsbedarf. Eine gute Ausbildung ist entscheidend für die Zukunft jedes und jeder Einzelnen und für die Zukunft des Landes. Deshalb setzt sich die ver.di Jugend engagiert an vielen Stellen für ein höheres Ausbildungsniveau und damit für eine dauerhafte Perspektive junger Menschen ein.
Auch der 17. DGB-Ausbildungsreport zeigt: Gibt es im Betrieb oder in der Dienststelle eine Interessenvertretung – zum Beispiel Betriebsrat/Personalrat und eine Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) –, die sich für bessere und faire Ausbildungsbedingungen und mehr Ausbildungsqualität einsetzt, ist die Zufriedenheit mit der Ausbildung höher. Gleiches bewirken auch Tarifverträge und die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft.
Du hast den Schlüssel zu mehr Zufriedenheit in der Hand: Jetzt Mitglied der ver.di Jugend werden! Je mehr wir sind, umso mehr können wir gemeinsam erreichen und die Ausbildung auf ein neues Niveau heben. Mach mit! Gemeinsam für eine gute Ausbildung und Perspektiven!
Das Studiendesign
Die repräsentative Befragung für den DGB-Ausbildungsreport 2023 fand von September 2022 bis April 2023 statt. Insgesamt haben sich 9855 Auszubildende aus den 25 meistfrequentierten Ausbildungsberufen an der Studie beteiligt.
Den gesamten Ausbildungsreport findest du hier: Ausbildungsreport 2023